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Strukturen, die nicht mehr zeitgemäß sind

Herausforderungen einer ehrenamtlichen Bürgermeisterin

 

Als ich 2019 das Amt der Stadtbürgermeisterin in Hermeskeil übernahm, dachte ich wie viele meiner Wähler*innen: „Jetzt wird alles besser. Offener und transparenter, schneller und zukunftsgerichteter.“ Nach mehr als vier Jahren muss ich sagen: Pustekuchen.

 

Das, was wir in den städtischen Gremien geleistet haben, kann sich im Vergleich zu anderen Kommunen sehen lassen, bleibt aber dennoch weit hinter meinen Vorstellungen. Erfahrene Kolleg*innen bieten Erklärungsversuche, wie „Du hast eine schwierige Zeit für dein Amt. Erst Corona, dann Ukraine-Krieg, Energiekrise und Landesfinanzausgleich.“ Will ich mich dahinter verstecken? Nein. Ich sehe ein halbes Jahr vor Ende der Amtszeit, das ein oder andere Manko. Bei aller Kritik (und die sozialen Medien sind voll davon) habe ich mir vielleicht zu oft Schuhe angezogen, die mir nicht passen. Oder besser: die mir gar nicht gehören. Und da sind wir bei einer Besonderheit der Rheinland-Pfälzischen Kommunalstruktur.

 

Kommunale Selbstverwaltung wird hier großgeschrieben. So groß, dass sogar Kleinstgemeinden mit neun Einwohner*innen, wie Dierfeld, einen Gemeinderat, einen eigenen Haushaltsplan und letztlich auch eigene Bürgermeister*innen haben. Hermeskeil ist mit 8.000 Einwohner*innen größer. Nur 59 der über 2100 Gemeinden in Rheinland-Pfalz sind noch größer. Dennoch wird die Stadt ehrenamtlich geführt. Das sieht die Gemeindeordnung vor. Zu den Aufgaben zählen: Das Betreiben einer Kita, das Schaffen von alternativen Energien und Nahwärmenetzen, das Bereitstellen von Wohnraum, das Ansiedeln von Wirtschaftsunternehmen für Arbeitsplätze und Steuereinnahmen, die Organisation des Stadtfestes. Das sind nur einige der größeren Posten. Es sind viele Aufgaben, und sie werden komplexer, denn immer mehr öffentliche und private Stellen sind zu beteiligen. Sie erfordern Zeit. Zeit, die Ehrenamtliche nicht in diesem Maß aufbringen können.

 

Verbandsgemeinden

 

Deshalb hat man das Konstrukt der Verbandsgemeinden entwickelt. Das sind hauptamtlich verwaltete Gebietskörperschaften, in denen sich je nach Lage und Größe eine unterschiedliche Zahl benachbarter Gemeinden zusammenschließen. Die Verbandsgemeindeverwaltung soll anstelle der Ortsgemeinden ihr zugeordnete Pflichtaufgaben, wie unter anderem Grundschulen, Brandschutz, Tourismus, Wasserversorgung oder Flächennutzungsplanung übernehmen. Und sie soll – und das ist der springende Punkt – die Verwaltungsgeschäfte der Ortsgemeinden in deren Namen und Auftrag führen. Man nennt sie daher auch „Schreibstube der Kommune“. Die Idee klingt gut. Warum sollte sich eine 500-Einwohner*innen-Gemeinde eine eigene Verwaltung leisten?

 

Problematisch wird es, wenn verschiedenen Interesse verschiedener Ortsgemeinden in der Verwaltung zusammenkommen. In Zeiten von Personalmangel, Bürokratie-Irrsinn und hinkender Digitalisierung kämpft jedes Gemeindeoberhaupt um seine Projekte und ist dabei Mitarbeiter*innen der Verwaltung nicht weisungsbefugt. Dafür gibt es eine*n Verbandsbürgermeister*in. Wie so oft setzt sich durch, wer die richtigen Leute kennt, gut quengelt oder am lautesten schreit. Ist das zielführend?

 

Gleichzeitig werden aber Bürgermeister*innen für alles, wirklich alles, was in Stadt oder Dorf passiert oder nicht passiert verantwortlich gemacht. Ob es in ihrer Zuständigkeit liegt, ist zweitrangig. Bürger*innen wollen, dass alles läuft und es Erklärungen gibt, wenn es nicht so ist. „Wofür ist man Bürgermeister*in, wenn man das nicht regeln kann?“ Und so zieht man sich als Ortchef*in manchen Schuh an, der einem nicht passt. Weil der Sachverhalt nicht im eigenen „Kompetenz- und Entscheidungsbereich“ liegt oder weil die Verwaltung, der man selbst nicht vorsteht, nicht so agiert, wie man sich das wünscht. Wie vermittelt man das den Bürger*innen? In der kommunalen Familie wollen wir uns ja nicht gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben. 

 

"Hauptamt stärkt Ehrenamt!" Unzählige Programme auf kommunaler Ebene plakatieren diesen Slogan Die Idee dahinter: Behörden unterstützen ehrenamtliche Ortsbürgermeister*innen. In der Realität werden ihnen jedoch weitere Steine in den Weg gelegt. Das hat nicht unbedingt mit Parteiengehabe und Machtspielerei zu tun. Es sind vielmehr Strukturen, die nicht mehr zeitgemäß und effizient sind. Eine Lösung liegt in weiter Ferne. Stadtbürgermeister*innen bleibt der Frust der Bürger*innen. Düstere Aussichten – und vielleicht eine Erklärung, warum es gerade in Rheinland-Pfalz so wenig junge Bürgermeister*innen gibt.

 

 

Viele KollegInnen sind frustriert

 

Der SWR hat im November 2023 die Ergebnisse einer breitangelegten Umfrage veröffentlicht - die Ergebnisse waren mehr als besorgniserregend. Weitere Infos zu den Hintergründen findet ihr hier: https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/umfrage-zeigt-buergermeister-in-rlp-frustriert-100.html.

 

 

 

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